01 Stadtbrand_1693 Zeichnung Dobler

Im Pfälzischen Erbfolgekrieg steckten französische Truppen Winnenden in Brand. Zeichnung: Carl Dobler.

Stadtarchiv Winnenden, Pb 401

„Feindtliche Zerstörung Undt Einäscherung der ganzen Statt Winnenden“ – Der Stadtbrand von 1693 als Zäsur

Einleitung

Am 25. Juli 1693 (nach dem heute geltenden gregorianischen Kalender am 4. August) erlebte Winnenden einen der dunkelsten Tage in seiner Geschichte. Französische Truppen steckten die Stadt in Brand. Dabei wurden 240 Gebäude zerstört. Die folgende Ausstellung erinnert an dieses einschneidende Ereignis im Rahmen des Pfälzischen Erbfolgekriegs. Eingegangen wird hauptsächlich auf die Einzelheiten des Geschehens, soweit sie rekonstruierbar sind, und seine Folgen für die Bevölkerung. Aber auch die erste Zeit des Wiederaufbaus ist von Interesse. Ein Blick darauf, wie spätere Generationen den Stadtbrand rezipierten, rundet die Darstellung ab.

02 Stadtbrand_1686 Stadtansicht Kieser

Ansicht der Stadt Winnenden in den Forstlagerbüchern von Andreas Kieser aus dem Jahr 1686.

Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Hauptstaatsarchiv Stuttgart, H 107/14 Bd. 6 Bl. 7

Historische Verortung des Stadtbrands

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts dehnte König Ludwig XIV. die Macht Frankreichs immer weiter aus. Er annektierte Gebiete im Westen des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, die seiner Auffassung nach historisch zu Frankreich gehörten, so Teile des Elsasses und Luxemburgs. 1688 provozierte er unter dem Vorwand, Erbrechte seiner Schwägerin, der Prinzessin Elisabeth Charlotte von der Pfalz (bekannt als „Liselotte von der Pfalz“), sichern zu wollen, den Pfälzischen Erbfolgekrieg. Ein Schauplatz dieses neun Jahre dauernden Konflikts war das Herzogtum Württemberg. Ende 1688 fielen erstmals französische Truppen in das Land ein, besetzten etwa Tübingen und den Hohenasperg. Bei der zweiten Invasion 1692 wurde unter anderem die Klosteranlage Hirsau bei Calw zerstört. Im September des gleichen Jahres geriet Herzogadministrator Friedrich Carl von Württemberg-Winnental in Gefangenschaft. Kaiser Leopold I. des Heiligen Römischen Reichs fürchtete infolgedessen einen Wechsel Württembergs auf die gegnerische Seite. Um dies zu verhindern, erklärte er im Januar 1693 den 16-jährigen Thronfolger Eberhard Ludwig für mündig. Wenige Monate später drang die französische Armee erneut in das Herzogtum ein. Dabei wurden Backnang, Beilstein, Marbach, Vaihingen an der Enz und Winnenden in Schutt und Asche gelegt.

Einzelheiten des Kriegsgeschehens in Winnenden

Historiker und Archivare, die zu Beginn der 1990er-Jahre für eine Ausstellung die Hintergründe der sogenannten „Franzoseneinfälle“ in Württemberg erforschten, erkennen in den Zerstörungen des Sommers 1693 ein wiederkehrendes Muster: „Französische Truppen, die entweder in offiziellem Auftrag Lebensmittel und Geld eintreiben sollten oder dies in eigener Regie taten, trafen fast menschenleere Orte an. Die wenigen anwesenden Personen wurden ermordet oder verschleppt, die Orte selbst geplündert und gelegentlich – ohne daß ein klarer Plan zu Grunde lag – niedergebrannt.“ (zitiert nach: Katalog zur Ausstellung „1693“, S. 30)

Einzelheiten der Plünderung und Einäscherung Winnendens beschreibt der Lehrer Gotthold Börner in seinem 1923 veröffentlichten Buch „Winnenden in Sage und Geschichte“ (S. 246): „Das Mühltor ward in Brand geschossen, und schon stürmten die Franzosen die Straße herauf. Da floh, was noch fliehen konnte, zum Kirchtor hinaus. Auf dem Rathaus stellten die Eindringlinge ihre Forderungen, die Stadt sollte für Haber, Heu und Stroh besorgt sein. Eine Kriegssteuer von mehreren tausend Talern mußte bezahlt werden. Alles Vieh, das nicht im Wald verborgen war, wurde fortgetrieben. Die Soldaten aber legten sich in die Häuser. Stehlen, Rauben und Quälen war die Hantierung dieser verwilderten Rotte.“ Schlussendlich „wurde unsere Stadt an vier Ecken angezündet“. Auf welche Quellen Börner konkret Bezug nimmt, lässt sich allerdings nur begrenzt feststellen.

05 Stadtbrand_1693 Zeichnung Dobler

Insbesondere der Bereich innerhalb der Stadtmauer fiel dem Feuer zum Opfer. Zeichnung: Carl Dobler.

Stadtarchiv Winnenden, Pb 401
06 Stadtbrand_1693 Auszug Totenregister

Auszug aus dem Totenregister Winnenden. Für den Zeitraum vom 17. Juli bis 22. August 1693 sind keine Beerdigungen eingetragen.

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Totenregister Winnenden 1607-1734, S. 342-343

Ein Zeuge des Brands war Stadtpfarrer Johann Georg Hegel. Am 17. Juli 1693 hielt er in Winnenden noch eine Beerdigung ab. „Gleich hierauff“, ist im Totenregister vermerkt, „gingen an die laid. Flucht: Undt den 29. diß die feindtliche Zerstörung Undt Einäscherung der ganzen Statt Winnenden, waß innerhalb der Maur begriffen: sampt der Vorstatt des Mühlthors: sonders auch d. Statt- oder genannten Capell-Kirch, Schloß ud Ampthaus: item Rhathauß […] und Schulhäuser pp.“

Johann Ulrich Wirth schreibt in seiner 1850 erstmals erschienenen „Geschichte der Stadt Winnenden und der umliegenden Orte“ über Hegel: „er mußte bei dem französischen Einfall 1693 Raub, Brand und Vertreibung durchmachen, und erlebte einen zweiten Einfall 1707. […] Seine bedeutenden Verdienste hat die Gemeinde durch Aufhängung seines Bildes in der Stadtkirche geehrt, indem er unter den schweren Drangsalen, welche die Stadt getroffen haben, mit unermüdeter Treue sein Amt verwaltete.“  

Unter den Zurückgebliebenen gab es Todesopfer. So wurde der 63-jährige Jacob Jeuter erschlagen in seinem Haus aufgefunden. Der Gerichtsverwandte Simon Bebeon, 70 Jahre alt, war offenbar im Keller erstickt. Mit den Gebäuden verbrannte überdies das Gedächtnis von Stadt und Amt. Verloren gingen beispielsweise Bürgermeisterrechnungen oder Inventuren und Teilungen. Zur Erforschung der Stadtgeschichte vor dem Brand muss deshalb heute die Ergänzungsüberlieferung in anderen Archiven, vor allem im Landesarchiv Baden-Württemberg, herangezogen werden.

07 Stadtbrand_2003 Epitaph Hegel

Epitaph für Stadtpfarrer Johann Georg Hegel in der Stadtkirche, aufgenommen 2003. Foto: Stadtarchiv Winnenden.

Stadtarchiv Winnenden, Bildarchiv

Folgen: Das Leiden der Bevölkerung, Schäden

Nach dem Abzug der französischen Armee kehrte die geflüchtete Bevölkerung allmählich wieder nach Winnenden und in die benachbarten Orte zurück. Die Situation der Brandopfer war verzweifelt. Viele mussten den Winter in den notdürftig hergerichteten Kellern der Ruinen verbringen. Lebensmittel gab es kaum. Hunger, Kälte und Krankheiten führten zu einer überdurchschnittlichen Zahl an Todesfällen. Die Zahl der Geburten und Eheschließungen sank zunächst. Aus einer Aufstellung von „Pfarrer, Vogt, Geistl. Verwalter, Burgermeister und Gericht“ geht hervor, dass im Januar 1695 allein in der Amtsstadt Winnenden mindestens 40 „notsarme Persohnen“ lebten, also Waisen, verwitwete und alte Menschen, die der Unterstützung bedurften.

Die herzogliche Regierung ließ sich über die in den betroffenen Ämtern entstandenen Schäden informieren. Bei den Friedensverhandlungen zwischen dem Reich und Frankreich machte sie dann eine Gesamtschadenssumme von 905.075 Gulden geltend. Auf das Amt Winnenden entfielen 310.566 Gulden, mehr als ein Drittel. Für die Stadt wurde ein Betrag in Höhe von 243.741 Gulden angegeben. Außer den Kriegsschäden belastete Württemberg eine von Frankreich auferlegte Kontribution, zu deren Bezahlung neue Steuern eingeführt wurden. Die zerstörten Orte blieben davon nicht verschont. Doch gelang es nicht überall, das Geld einzutreiben.

Der Wiederaufbau

Die erste Sitzung von Vogt, Bürgermeister und Gericht nach dem Brand fand am 17. September 1693 statt. Im November kamen die Baumeister M. Weiß und J. P. Herzler sowie der Stiftswerkmeister J. Heim nach Winnenden, um ein Gutachten für den Wiederaufbau anzufertigen. Dieser dominierte, im Zusammenhang mit finanziellen Fragen, die Sitzungen von Vogt, Bürgermeister, Gericht und Rat in den folgenden Jahren. So heißt es im Stadtgerichtsprotokoll vom 21. Mai 1694: „Wegen wieder auferbauung der Mühlin wurde geschloßen, die Steuer bey denen noch aufrecht stehenden Umbzuelegen.“ Am 17. Februar 1696 stand die „Überbauung des Rathhauß“ auf der Tagesordnung.

Zu den ersten wiedererrichteten Gebäuden zählte das Stadtpfarrhaus in der Marktstraße. Der Rathausbau war um 1701 abgeschlossen - früher als in anderen betroffenen Städten, etwa Backnang. Laut dem ehemaligen Stadtarchivar Roland Schurig fielen die letzten Außenarbeiten und die Ausstattung der Räume mit Öfen in dieses Jahr. Der Wiederaufbau der Stadtkirche begann 1698. In der Zeitkapsel auf dem Turm der Kirche existiert dazu ein Originaldokument, in dem die damals in Amt, Stadt und Kirche wirkenden Personen genannt werden. 1713 hielt Stadtpfarrer Johannes Hauber, der Nachfolger von Hegel, die erste Predigt in der instandgesetzten und erweiterten Stadtkirche.

Um 1700 begann auf Befehl Herzog Eberhard Ludwigs die „Renovierung“ der Amtsregistratur. Die Lagerbücher der Kellerei Winnenden über Obrigkeit, Gerechtigkeit, Dienstbarkeit, Zinsen, Renten, Gülten etc. wurden in mehreren Teilen erneuert. Heute befinden sich diese Bände im Staatsarchiv Ludwigsburg.

Rezeptionsgeschichte

In der Beschreibung des Oberamts Waiblingen aus dem Jahr 1850 ist über den Brand zu lesen (S. 219): „Besonders übel erging es der Stadt beim Einfall der Franzosen im Jahr 1693; von diesen wurde im Juli die Stadt ausgeplündert, am 25. Juli (4. August) in Brand gesteckt und ausgebrannt (240 Häuser); auch das Schloß Winnenthal wurde ruinirt.“ Ähnlich kurz ist die Darstellung in der bereits erwähnten zeitgleich erschienenen Publikation von Stadtpfarrer Johann Ulrich Wirth.

1923 – vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs, bei dem Frankreich einer der Hauptgegner Deutschlands gewesen war – brachte Gotthold Börner im Selbstverlag das Buch „Winnenden in Sage und Geschichte“ heraus. Generell räumt er in seinem Werk kriegerischen Ereignissen viel Platz ein. Die Epoche zwischen 1650 und 1800 definiert er als „Zeit der Franzosennot“. Innerhalb dieses Kapitels geht er sehr detailliert auf den Stadtbrand von 1693 ein. Die Illustrationen zu Börners Buch stammen von dem Kunstmaler Carl Dobler. Ein Teil von dessen Zeichnungen ist in dem Zyklus „Geschichtsbilder aus Winnendens Vergangenheit“ zusammengefasst, darunter zwei Motive des in Schutt und Asche versinkenden Winnenden.

19 Stadtbrand_1948 Dokument Stadtkirche

In diesem Bericht wird ein Bezug hergestellt zwischen der Beschießung Winnendens am 20. April 1945 und der Einäscherung der Stadt im Jahr 1693. Er datiert vom Januar 1948 und gehört zu den Dokumenten aus der Zeitkapsel auf dem Turm der Stadtkirche.

Stadtarchiv Winnenden, Fremdprovenienzen

Bei der Beschießung der Stadt durch US-Feldartillerie am 20. April 1945 wurde die Stadtkirche St. Bernhard stark beschädigt. Als Anfang 1948 die Renovierung abgeschlossen war, kam in die Zeitkapsel auf dem Kirchturm ein von Stadtpfarrer Werner handschriftlich verfasster Bericht über die zurückliegenden Ereignisse, der an spätere Generationen gerichtet ist. Darin bezeichnet er den Tag der Beschießung als einen „der dunkelsten Tage in der Geschichte unserer guten Stadt Winnenden, der in seinem Geschehen erinnert an jenes Jahr 1693, da unsere Stadt durch die Franzosen in Brand gesteckt und völlig eingeäschert wurde“

1953 jährte sich der Stadtbrand zum 260. Mal. In seiner Ausgabe vom 25. Juli veröffentlichte das „Volks- und Anzeigeblatt“ einen Artikel, an dessen Ende die Initialen des Autors, E. R., aufgeführt sind. Sehr wahrscheinlich handelt es sich dabei um Erich Rummel, der im Auftrag der Archivdirektion Stuttgart für die Gemeindearchivpflege im Landkreis Waiblingen zuständig war. Auffallend ist, dass er viele Passagen aus Börners Buch fast wortwörtlich übernommen hat.

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Artikel über den Stadtbrand im „Volks- und Anzeigeblatt“ vom 25. Juli 1953.

Stadtarchiv Winnenden
21 Stadtbrand_1993 Artikel WZ

Ankündigung der Wanderausstellung „1693“ in der „Winnender Zeitung“ vom 7. Mai 1993.

Stadtarchiv Winnenden

Anlässlich der 300. Wiederkehr der „Franzoseneinfälle“ im Jahr 1993 wurde ein Arbeitskreis aus Historikern und Archivaren gebildet, in dem zwölf betroffene württembergische Städte vertreten waren. Er konzipierte eine Wanderausstellung, die vom 8. bis 23. Mai im Winnender Rathaus zu sehen war. Zusätzlich kamen ein Katalog und ein Aufsatzband mit Beiträgen des abschließenden wissenschaftlichen Symposiums heraus.  

Auch im vom Historischen Verein Winnenden betriebenen Heimatmuseum im Schwaikheimer Torturm wird der Stadtbrand von 1693 thematisiert. Ein Besuch dort ist möglich nach Vereinbarung und im Sommerhalbjahr am letzten Samstag im Monat.